Mein Europa, Dein Europa: Wie neue Banknoten eine europäische Identität schaffen

 

Wiederaufbau, Stärke und Zugehörigkeit“ mit diesen drei Achsen skizziert der französische Präsident Emmanuel Macron die Prioritäten Frankreichs für die am ersten Januar 2022 beginnende EU-Ratspräsidentschaft. Seine Wortwahl ist kein Zufall: „Niemandem ist die aktuelle Debatte in unserem Land entgangen“, so die Anspielung des Präsidenten auf die hitzigen Diskussionen über französische Identität, die vor allem von seinen politischen Gegnern geführt werden. Auch der Präsident bedauert, dass „das Zugehörigkeitsgefühl“ in Frankreich und in anderen Mitgliedsstaaten der EU „verkümmert“ sei, meint damit aber wohl weniger die nationale, als die europäische Zugehörigkeit.

 

Der Zufall will, dass die französische EU-Ratspräsidentschaft mit dem 20-jährigen Jubiläum der Einführung des Euro zusammenfällt. Bei einer Pressekonferenz Anfang Dezember erklärte die Präsidentin der Europäischen Zentralbank, Christine Lagarde, es sei „an der Zeit, das Design [der Euro-Banknoten] zu überdenken, damit sich Europäer aller Altersgruppen und Hintergründe leichter damit identifizieren können“.

Eignet sich also der Euro, um das von Macron vermisste Zugehörigkeitsgefühl der Europäer zu stärken? Die Presse reagierte positiv auf den Vorschlag der Zentralbank. Allerdings dürfen die Europäer frühestens 2024 mit neuen Banknoten rechnen. Bis dahin werden in einem ausführlichen Konsultationsverfahren Ideen und Vorbehalte der Bürger und Staaten zu neuen Motiven für die Banknoten geprüft.

In den 1990er Jahren scheiterte ein erster Versuch, sich auf universelle Motive für die Euro Banknoten zu einigen. Damals wollte jeder Staat seine eigenen Sehenswürdigkeiten und Symbole auf den Euronoten abgedruckt sehen. Da eine Berücksichtigung aller Wünsche nicht gelang, einigte man sich schließlich auf symbolische Darstellungen verschiedener „Zeitalter und Stile“. Jeder kennt die „imaginären Brücken“ auf den Euro-Geldscheinen. Sie sind als Symbol des „Zusammenwachsens der Völker Europas“ gedacht. Entworfen wurden sie vom österreichischen Grafiker Robert Kalinka im Jahr 1996. Auf ihrer Webseite beschreibt die EZB die aktuelle Motivwahl damit, dass die Banknotenserie „Europa“ auf der Rückseite eine Karte Europas zeigt und dass auf der 100 Euro Banknote „vom Barock und Rokoko“ inspirierte Bauwerke zu sehen sind. Eine Strategie des minimalen Risikos also, die den Nationalstolz von niemandem verletzt, dafür aber auch kaum jemanden anspricht.

Welche Motive und Persönlichkeiten aber würden sich besser eignen? Gibt es Motive, die die europäische Idee verkörpern? Und worin besteht die europäische Identität, die man über die Auswahl der Motive stärken möchte?

Beim Versuch, diese weit gefassten und komplexen Fragen zu beantworten, kann man sich auf die Gründerväter Europas stützen. Einer von ihnen war Richard Nikolaus Graf Coudenhove-Kalergi. In seinem Manifest Pan-Europa plädierte er bereits 1923 für eine Union europäischer Staaten. Laut dem in Tokio geborenen Adeligen aus Österreich-Ungarn stützt sich die kulturelle Identität Europas auf drei Säulen. Diese tragen die Namen dreier Städte: Athen steht für die Demokratie, Rom für die Justiz, und Jerusalem für die drei monotheistischen Weltreligionen, an erster Stelle das Christentum. Der sogenannte Alte Kontinent definiert sich auch heute noch über sein parlamentarisches demokratisches System, seine Vorstellung von Rechtsstaatlichkeit, seine christlichen Wurzeln sowie seine Weltoffenheit.

Diese Definition findet sich im Kern auch in Artikel 2 des Vertrags über die Europäische Union wieder, der das Fundament der europäischen Werte beschreibt:

Die Werte, auf die sich die Union gründet, sind die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören. Diese Werte sind allen Mitgliedstaaten in einer Gesellschaft gemeinsam, die sich durch Pluralismus, Nichtdiskriminierung, Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität und die Gleichheit von Frauen und Männern auszeichnet.“

Es bleibt die schwere Aufgabe: Festzulegen, welche europäischen Persönlichkeiten oder Motive diese Werte am besten verkörpern.

Der Versuch, über unsere gemeinsame Währung das Zugehörigkeitsgefühl zu Europa zu stärken, mag aktuell zweitrangig erscheinen. Insbesondere in einer Zeit, in der die Corona-Krise unser Handeln bestimmt und immer weniger Zahlungen über Bargeld abgewickelt werden. Und doch: Die Wahl der passenden Motive kann ungeahnte positive Auswirkungen auf die europäische Identität haben und eignet sich somit, die europäische Einigkeit und Souveränität zu stärken. Dieses Ziel verfolgt auch die französische EU-Ratspräsidentschaft.

Beraten lässt sich die EZB bei ihren Überlegungen zu einem neuen Design der Banknoten von einer Gruppe aus 19 Experten aus allen Mitgliedsstaaten der Eurozone. Nach der Präsentation ihrer ersten Vorschläge soll auch die Öffentlichkeit befragt und ein Design-Wettbewerb veranstaltet werden. Die finale Entscheidung über das Aussehen der Scheine trifft der EZB-Rat.

 

Pauline Brugeilles – 21. Dezember 2021