Deutschland und Frankreich vor den Wahlen: „Amour fou“ oder „baldige Trennung“?

Am Vorabend der Bundestags- und Präsidentschaftswahlen in Deutschland und Frankreich geben sich die Politiker beiderseits des Rheins große Mühe, das Bild einer vitalen Partnerschaft aufrechtzuerhalten. Doch hinter den Kulissen zeigen sich schon länger Risse in den Beziehungen beider Länder. Ein Blick zurück auf vier entscheidende Jahre für Europa erscheint aufschlussreich und gibt Ausblicke auf die kommenden Wahlen.

 

Der Auftakt war voller Misstöne. Im September 2017, vier Monate nach seiner Wahl, hielt Emmanuel Macron an der Sorbonne eine feurige Rede. Mit viel Elan legte der junge Präsident seine Vision für die Europäische Union dar. Doch als seine ausgestreckte Hand in Berlin nur eine zurückhaltende Antwort hervorrief, stellte sich in Paris schnell Frustration ein.

Emmanuel Macron hatte seine ehrgeizigen Ziele bezüglich des europäischen Projektes nie verborgen. Dem deutsch-französischen Paar maß er dafür enorme Bedeutung zu. Er wollte unserem Kontinent wieder neue Impulse geben. In Deutschland jedoch blieben viele seiner Avancen ungehört – bis heute. In Berlin herrscht das politische Gebot der kleinen (Fort)schritte. Das zeigt sich auch sprachlich wenn in Frankreich das amouröse „dt.-frz. Paar“ verklärt wird, man diesseits des Rheins jedoch von einem simplen „dt.-frz. Motor“ spricht, der vor allem reibungslos funktionieren soll.

 

Was bleibt von der Ära Macron-Merkel?

Zunächst einmal Großprojekte, wie man sie in Europa seit langem nicht mehr gesehen hat! Allen Unkenrufen zum Trotz waren es Deutschland und Frankreich gemeinsam, die diese Initiativen angestoßen haben.

Mit der Wiederbelebung des Europäischen Verteidigungspakts am 23. Dezember 2017, den 23 Mitgliedstaaten unterzeichnet haben, konnte die Idee einer gemeinsamen europäischen Verteidigungspolitik wieder etwas an Bedeutung gewinnen. Darüber hinaus wurden ambitionierte Industrieprojekte wie FCAS (Future Combat Air System), das „Kampfflugzeugsystem der Zukunft“, und MGCS (Main Ground Combat System), das „gepanzertes Fahrzeugsystem der nächsten Generation“, gemeinsam in Angriff genommen. Beide Rüstungsprojekte zeigen – auch wenn sie noch entwickelt werden müssen – klar und deutlich, dass der politische Wille gemeinsam etwas zu bewegen, in Berlin und Paris durchaus vorhanden ist.

In der wirtschaftlichen Zusammenarbeit haben unternehmerische Großprojekte nach dem Vorbild von Airbus eine deutliche Stärkung erfahren. Deutsch-Französische Konsortien für Zukunftstechnologien wie Batterien, Halbleiter und Wasserstoff wurden gegründet. Insbesondere der „Airbus der Batterien“, dessen zweiter Projektteil mit BMW und Stellantis Anfang des Jahres gestartet ist, gilt als Erfolg. Im Bereich Wasserstoff kam die Initiative für ein gemeinsames Projekt aus Deutschland.

Nicht zu vergessen die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO): Ein Zeitenwechsel beim Datenschutz und der Datenverarbeitung. Was zunächst als undurchschaubares Gebilde erschien und Ängste auslöste, hat seinen Nutzen längst bewiesen – für die digitale Wirtschaft und Start-ups genauso wie für normale Verbraucher.

Auch budgetpolitisch haben Deutschland und Frankreich ihre Anstrengungen gesteigert. So wurde der aktuelle EU-Haushalt (2021-2027) mit einer Rekordsumme von 1.074 Milliarden verabschiedet. Ohne eine Abkehr Deutschlands vom Mantra der schwarzen Null wäre das nicht möglich gewesen.

Angesichts einer einmonatigen Blockade des Haushalts durch Warschau und Budapest war es schließlich auch Deutschland, das sein politisches Gewicht und die EU-Ratspräsidentschaft nutzte, um auf eine Einigung hinzuwirken. Das finanzielle Engagement Berlins zeigte sich zudem beim 750-Milliarden Euro starken EU-Wiederaufbaufonds. Er soll als stabile Grundlage dienen, auf der die 27 EU-Länder ihr Wachstum nach der Pandemie errichten können.

Wenn man bedenkt, wie schwierig es ist, solche Einigungen auf europäischer Ebene zu erzielen und Großprojekte durchzuführen, stellt das zusammengenommen eine solide Bilanz der Ära Macron-Merkel dar. Dennoch stecken einige ehrgeizige Vorhaben weiterhin in der Pipeline. Was aus ihnen wird, ist nicht sicher.

Im Bereich Verteidigung lassen sich vorsichtige Erfolge beim FCAS beobachten. Auch wenn kürzlich das Beschaffungsamt der Bundeswehr in Koblenz eine ablehnende Stellungnahme vor der Genehmigung des Projektes durch den Finanzausschuss des Bundestages abgegeben hat. Gleichzeitig hakt die Zusammenarbeit beim MGCS, doch die grundlegende Amnschubfinanzierung ist auch hier geklärt.

Im Digitalsektor war die Datenschutz-Grundverordnung ein Erfolg, während sich der Start der Dateninfrastruktur-Initiative Gaia-X etwas verzögert hat. Doch das Projekt erscheint vielversprechend: Das digitale Ökosystem garantiert die Souveränität der Daten, ihre Verfügbarkeit, Transparenz und Sicherheit. Ein Rahmen, der Unternehmen bei der Entwicklung innovativer Produkte hilft und sie auf diese Weise international konkurrenzfähiger macht.

Darüber hinaus hat die Pandemie sehr deutlich gezeigt, wie schwer es ist, in akuten Krisensituationen schnell gemeinsame Lösungen zu finden. Eine länderübergreifende Zusammenarbeit bei der Bereitstellung von Schutzausrüstung oder der Entwicklung von PCR-Tests war ebenso wenig von Erfolg gekrönt, wie eine supra-nationale Koordinierung bei den Grenzübertritten oder eine gemeinsame Gesundheitspolitik. Letztere verbleibt auf nationaler Ebene, wie durch die europäischen Verträge vorgesehen. Darüber hinaus hat die Europäische Union die Verhandlungen für ihre Impfstoffkontingente schlecht geführt. Die EU-Bürger haben leidliche Erfahrung mit den daraus resultierenden Verzögerungen machen müssen. Gleichzeitig gibt es auch Beispiele für erfolgreiche grenzüberschreitende Solidarität: Französische Covid-Patienten wurden in deutschen Krankenhäusern behandelt – und damit das nationale Gesundheitssystem entlastet.

 

Auf dem Weg in eine grüne Zukunft?

Es ist kein Geheimnis, dass die Grünen – sowohl in Deutschland als auch in Frankreich – in den Wahlumfragen heute besser stehen als noch vor wenigen Jahren. Aber werden der nächste Präsident bzw. die nächste Bundeskanzlerin deshalb zwangsläufig „grün“ sein?

Die Parteivorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Annalena Baerbock, hat in Deutschland schon früh ihre Absicht bekundet, Angela Merkels Platz einzunehmen. Ihr Wahlkampf ist in vollem Gange. Doch die junge Politikerin (40), die als dynamische Hoffnungsträgerin ihrer Partei gilt, musste bereits Rückschläge in ihrer Kampagne hinnehmen. Erst fanden sich irreführende Fehler in ihrem Lebenslauf, dann fanden sich Passagen aus ihrem kürzlich veröffentlichten Buch nur leicht abgeändert in anderen Publikationen. Mittlerweile sind ihre Umfragewerte deutlich gesunken. Aktuell sagen weniger als 20 % der Deutschen in Umfragen, für die Grünen stimmen zu wollen. Ein Rückgang, der den Konservativen zugutekommt. Die CDU legte in den Umfragen um 4 Prozentpunkte zu und vereint etwa 28 % der prognostizierten Wählerstimmen auf sich. Seitens der CDU hat sich Armin Laschet als CDU-Kandidat für die Nachfolge Merkels durchgesetzt. Der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen zeigt sich europafreundlich. Doch auch er ist umstritten und gilt vielen als zu langweilig. Sein Lachen mitten in den Trümmern während einer Gedenkzeremonie für die Opfer der sintflutartigen Regenfälle in seinem Bundesland im Juli, hat ihn um einiges in den Beliebtheitswerten zurückgeworfen.

In Frankreich haben die Regionalwahlen – mit einer historisch niedrigen Wahlbeteiligung – eine Rückkehr der traditionellen Parteien im rechten und linken Lager ermöglicht. Radikale Parteien schnitten schwächer ab als vorher erwartet. Für die Grünen, die mit der übrigen Linken verbündet sind, waren die Regionalwahlen allerdings eine herbe Enttäuschung. Emmanuel Macron scheint daher noch eine gute Chance zu besitzen, die Präsidentschaftswahlen 2022 erneut zu gewinnen ¬ selbst wenn seine Bewegung noch nie so geschwächt war wie heute und ihr die lokale Verankerung fehlt. Zugutekommen könnte ihm die Spaltung der Rechten. Sie läuft Gefahr nächstes Jahr gleich mit mehreren Kandidaten bei den Präsidentschaftswahlen anzutreten.

Im Gegensatz zu den deutschen Kandidaten, die den Beziehungen mit Paris traditionell große Aufmerksamkeit schenken, scheinen die Themen Europa und deutsch-französische Freundschaft in Paris diesmal nicht im Vordergrund zu stehen. Dabei ist eine enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit beider Länder heute nötiger denn je, um Europa weiter voranzubringen.

 

Laetitia Quignon – 29. Juli 2021