Macron will die ENA reformieren, nicht zerstören

Präsident Macron hat angekündigt, die französische Eliteuni Ecole Nationale D’Administration (ENA) abschaffen zu wollen. Das ist nicht nur Symbolpolitik.

Unter dem Druck langanhaltender Proteste der „Gelbwesten“, hat Frankreichs Präsident Macron auf seiner Pressekonferenz im Frühjahr die Abschaffung der Ecole Nationale d’Administration (ENA), einer Eliteuni für hohe Verwaltungsbeamte, angekündigt. Die Beamtenschmiede wird seit Jahrzehnten von Kritikern als Sinnbild für eine abgehobene Pariser Elite gesehen, die Staat und Wirtschaft kontrolliert – selbst wenn die ENA von 1992 bis 2006 sukzessive nach Straßburg umgezogen ist. Macron, der selber ein Absolvent der ENA ist (Abschluss 2004), ist mit seiner Ankündigung dem Vorwurf entgegentreten, ein „Präsident der Reichen“ zu sein. Doch es geht um mehr, als nur die Besänftigung politischer Gegner.

Die ENA, eine Kaderschmiede für den Staatsdienst

Die ENA wurde 1945 von Charles de Gaulle gegründet, um eine vom Vichy-Regime unbelastete Beamtenelite für den Wiederaufbau Frankreichs auszubilden. Bis heute wird hier nur aufgenommen, wer sich in einer hochanspruchsvollen Aufnahmeprüfung durchsetzt. Nur 80 von 1.500 Bewerbern kommen durch. Wer später unter den Absolventen der ENA zu den Besten gehört, wird automatisch Teil eines sogenannten „Grand Corps de l’Etat“, die die Spitzenposten in den Institutionen der französischen Verwaltung besetzen. Egal ob im Außenministerium, im Rechnungshof oder dem Frankreich eigenen „Conseil d’État“, überall findet man die „Enarques“. Oftmals nutzen die ENA-Absolventen ihre Erfahrung an der Verwaltungsspitze später für einen Wechsel in die Wirtschaft oder Politik. Seit der Gründung der fünften Republik im Jahr 1958 haben allein vier von insgesamt acht Staatspräsidenten die ENA besucht (Emmanuel Macron, François Hollande, Jacques Chirac und Valéry Giscard d’Estaing). Auch ein Drittel der französischen Premierminister der fünften Republik war auf der ENA. Viele Französische CEOs wie Guillaume Pepy (SNCF) oder Stéphane Richard (Orange) besitzen ebenfalls ihr Diplom. Es wird deutlich: Wer einmal die ENA absolviert hat, ist für immer Teil der französischen Elite.

Auch nicht-Franzosen können die ENA besuchen. Zu den insgesamt 7.161 ehemaligen französischen Studenten der ENA seit ihrer Gründung kommen auch 3.719 Ausländer, aus insgesamt 134 Ländern.

Welche Reformen sind geplant?

Macron setzt sich für eine grundlegende Modernisierung der Ausbildung an der ENA, nicht für ihre ersatzlose Abschaffung ein. Große Änderungen, auch des Namens der Hochschule, sind zu erwarten. Dennoch wird das Prinzip einer speziellen Ausbildungsstätte für Beamte nicht verschwinden.

Macron geht es insbesondere darum, die verschulten Lehrinhalte praktischer zu gestalten und den Austausch mit anderen Bereichen des Staatsdienstes zu stärken. Überlegt wird zum Beispiel, ein gemeinsames Jahr zu Beginn des Studiums einzuführen, in denen ENA- Studenten gemeinsam mit Beamten aus anderen Bereichen, etwa angehenden Polizeikommissaren oder Leitern staatlicher Krankenhäuser, unterrichtet würden. In dieser Zeit hätten sie auch die Möglichkeit, Praktika zu absolvieren und sich ein breiteres Bild von der Arbeit in der französischen Verwaltung zu machen.

Ein weiterer Punkt, den die Reform angehen möchte, ist der lebenslange Elitenstatus der ENA Absolventen. Aktuell haben die Jahrgangsbesten automatisch Zugang zu Spitzenposten in den staatlichen Institutionen. Der klassische Arbeitsmarktmechanismus, der Aufstieg von Leistung abhängig macht, ist für die meisten Enarques nach ihrem Abschluss gänzlich ausgehebelt. Die Macrons Reform zugrundeliegende Überlegung ist daher, den staatlichen Arbeitgebern mehr Macht bei der Auswahl der Absolventen zu geben. Sie sollen diejenigen auswählen, die sie für am besten geeignet halten.

Die Reform sucht auch eine Antwort auf die berechtigte Kritik, nur der Nachwuchs aus privilegierten Familien schaffe es überhaupt, als Student an der ENA aufgenommen zu werden. Eigentlich steht die ENA jedem offen, der ihre schwierige Aufnahmeprüfung erfolgreich absolviert. Tatsächlich sind es aber die Studenten, die bereits vorher französische Eliteunis wie „Sciences Po“ besucht haben, die bei dieser Prüfung Erfolg haben. Daher soll eine veränderte Aufnahmeprüfung die ENA auch für Personen mit anderen Profilen öffnen. Nicht allein akademische Leistungen, sondern auch Fähigkeiten wie Kreativität oder Vorstellungskraft würden dann abgefragt. Zudem wird überlegt, zusätzlich für Studenten mit weniger privilegiertem Hintergrund eine besondere Aufnahmeprüfung einzuführen. Dieses System wird zum Beispiel an Sciences Po bereits seit 2001 praktiziert. Dort müssen Bewerber aus Gymnasien, die als benachteiligt gelten, lediglich eine mündliche Prüfung ablegen. Kritiker sehen in einem solchen System allerdings eine Aushöhlung des Leistungsprinzips und fordern gleiche Bedingungen für alle Bewerber.

Welche der Reformen tatsächlich umgesetzt wird ist noch nicht sicher. Macron hat als Verantwortlichen der Reform den ehemaligen Präsidenten des französischen Fußballverbands (und Enarque) Frédéric Thiriez beauftragt, der bis November seine Reformvorschläge vorlegen soll.

Darf sich Deutschland als Vorbild sehen?

Auch hierzulande wird die ENA meist als Symbol für französischen Elitismus betrachtet. Es verwundert daher kaum, dass viele deutsche Beobachter die deutsche Beamtenausbildung für überlegen halten. Anders als bei unserem Nachbar gibt es in Deutschland keinen Abschluss, der die Eignung für einen bestimmten Beruf garantieren würde. Selbst die 400 Deutschen, die seit ihrer Gründung die französische ENA absolviert haben, konnten in ihrer Karriere auf keinen „Automatismus“ setzen, der ihnen Zugang zu Deutschen Institutionen gewährt hätte. Prominente Beispiele deutscher ENA Absolventen, wie der ehemalige NATO Botschafter Joachim Bitterlich oder der ehemalige Stuttgarter Oberbürgermeister Wolfgang Schuster, konnten von ihrem Status als „Enarque“ daher nicht auf dieselbe Weise profitieren wie ihre französischen Kommilitonen.

Dennoch wäre es ein Fehler, selbstgefällig auf das französische System herunterzuschauen. Denn Elitismus gibt es auch in Deutschland. Es sind immer noch die Kinder von Akademikern, die mit Abstand die größte Gruppe der Studenten an deutschen Hochschulen ausmachen: Von 100 Kindern, unter deren Eltern mindestens ein Elternteil einen Studienabschluss besitzt, gehen 74 an eine Hochschule. Für Kinder, deren Eltern nicht studiert haben liegt diese Zahl bei nur 21.

In Frankreich könnte mit der Reform der ENA ein weiterer kleiner Schritt gemacht werden, um die Chancengerechtigkeit an den Universitäten und in der Gesellschaft zu verbessern. Anstatt sich darüber zu erheben, sollte man in Deutschland darüber nachdenken, welche Schritte im eigenen System gemacht werden können, um in dieselbe Richtung zu gehen.

Aaron Eucker
(2. juli 2019)